Die Ausstellung DEVOUR! ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes, das die Arbeit von Künstler*innen mit der Arbeit von Architekt*innen, Kollektiven und Kurator*innen verbindet. Verfolgt wird das Entstehen architektonischer oder urbanistischer Hybrid-Situationen, die ihren Ursprung in kulturelle oder soziale kannibalistische Prozessen haben. Das Projekt analysiert verschiedene Kontexte, in denen sich hybride Strukturen und Praktiken zeigen, die als Konsequenz sozialer Kannibalisierungsprozesse zu verstehen sind: Vertilgung von kulturellen Formen Anderer, erzwungene Aufnahme von verschiedenen intelektuellen Paradigmen, nicht-assimilierte Konsumption.

Präsent in der Ausstellung sind monströse, aufopferungsvolle, selbstmörderische aber auch innovativen Folgeerscheinungen dieser Prozesse – besonders im Bereich Architektur und Lebensführung.

 

HYBRID:

Ein Hybrid zeugt von den Interaktionen seiner inkongruenten Ursprungsquellen. Er ist das Ergebnis einer fehlgeschlagenen Assimilierung, einer erfolglosen Kreuzung, die dennoch ein neues Gebilde hervorbringt, das große politische Relevanz in sich trägt und einer Neukonfigurierung Vortrieb leistet.

 

ANTHROPOPHAGIE:

Das gesamte Projekt beschäftigen sich mit dem Begriff der Anthropophagie und versucht sich der frühen brasilianischen Moderne und der danach folgenden Tropikalismus-Bewegung zu nähern, wo dieser Begriff zentral war. Es geht nicht um eine historische oder dokumentarische Perspektive auf die brasilianische antropophagia Bewegung, sondern um das emanzipatorische Potenzial, das diese Ideen hervorgerufen haben und ihre anti-koloniale Implikationen. Dieses postkoloniale, regenerative Denken gab den Anstoß zur Formwerdung einer modernistischen architektonischen Utopie. Diese wurde als inspirierend und erneuernd über die kulturellen Grenzen von Brasilien hinweg empfunden und wurde in andere kulturelle Gebieten entlang des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Im internationalen Spätmodernismus (zum Beispiel in dem spätkolonialen Afrika) wurden brasilianische moderne Architekturformen eingesetzt um neuer sozialen Identitäten eine visuelle und funktionelle Gestalt zu geben. Einige dieser späten Formen von Modernismus (und ihre Gründe und Konsequenzen) im Bereich der Architektur wurden in diesem Projekt durch verschieden Fallstudien aufgezeichnet.

 

In seinem Anthropophagischen Manifest von 1928 gibt Oswald de Andrade den wunden Punkten seiner Epoche Ausdruck. Das Manifest erschien erstmal in der Revista de Antropophagia, 1. Nummer, 1928.1 Mit einer Mischung aus Surrealismus, deutlicher Kritik und Zynismus schreibt er im Manifest:

“Ich fragte jemanden, was Recht sei. Er antwortete, es sei die Versicherung zur Ausübung von Möglichkeit. Dieser Mann hieß Galli Matias. Ich habe ihn gegessen.”

Laut Kritikern dieser Zeit ist Galli Matias ein Wortspiel, das auf einen eurozentrisch-verblendeten und selbst-verstärkenden Diskurs hinweist. De Andrade erklärte auch “gegen jegliche Importeure konservierten Bewusstseins” zu sein. Er meinte damit die ethnologischen Studien, die seit vielen Jahrzehnten von europäischen anthropologischen Forschungsexpeditionen auf die Realität brasilianischer Kulturen oktroyiert wurden.

"Tupi, or not Tupi that is the question," fragte de Andrade also markant (auf Englisch) in seinem Manifest. Kannibalismus (und die Figur des kannibalen Tupi Stamm in Brasilien) wurde als Metapher für eine neue, brasilianische Identität übernommen. Er kehrte das Stereotyp des Kannnibalen, mit dem die Europäer die brasilianische Kultur reduzierend referierte, um: die einheimischen Traditionen wurden von ihm als revolutionäres und aktives Prinzip eingesetzt. Diese kannibalisieren nun die europäischen paternalistischen Klassifizierungen und erzeugen eine neue brasilianische Identität, emanzipatorisch und modern, die koloniale Strukturen verschlingt und einverleibt, um ein eigenes nationales Selbstbewusstein zu erschaffen. Mit dieser Bewegung wurde Modernismus zur Formel dieser postkolonialen Identität. Andererseits sollte die Architektur auch tatsächliche, praktische Lösungen für das Leben vor Ort schaffen: inklusive Umgebungen und funktionale Lösungen für die Bedarfe der modernen Brasilianer.

 

Die Ausstellung umfasst auch einige dokumentarische Einblicke (Bilder und Texte) in die Arbeit von Flávio de Carvalho (1899 – 1973), eine wenig bekannte brasilianische kulturelle Figur, der in den 1950er Jahren Architektur, Urbanistik und Performance zu einer sozialen Utopie verknüpfte. Er wurde durch seine Experiências bekannt, die eine Mutation sozialer Rituale vorschlägt: Experiência no. 3, zum Beipiel, zeigt de Carvalho in ein von ihm angefertigtes, futuristisches Gewand für Männer – eine Art funktionale Architektur-Kleidung, das ein freieres und klima-adäquates soziales Verhalten (ausserhalb von europäischen Konventionen) im öffentlichen Raum möglich machen soll.

Neben der Experiências war de Carvalho ein produktiver Schriftsteller, Architekt, Journalist und Dramaturg. Laut dem kolombianischen Kurator Inti Guerrero, der 2010 eine Ausstelung zu de Cravalho im Museum von Sao Paolo organisierte, verstand dieser Architektur als eine kulturelle Struktur, die “auf den Körper” einwirkt2.

Vielleicht zum ersten Mal wurde hier Performance (in ihrer modernen Form) mit Urbanistik vermischt, um eine subjektive Erfahrung von Architektur zu ermöglichen. De Carvalho stellte sich einen utopischen Masterplan vor, gedacht als eine Metropole für den Menschen der Zukunft. Hierin sollte der Mensch leben ohne Gott, ohne Besitz und ohne Ehe – eine nackte Menschheit befreit von ihren kulturellen Konstrukten – oder wie de Carvalho es nannte von ‘akademischen Tabus’.3 Die Bildersammlung die in der Ausstellung präsentiert wurde, zeigt einige Überbleibsel seiner realisierten Architekturprojekte in Sao Paolo: Fazenda Capuava und den Häuserkomplex von Alameda Lorena.

Damit in Verbindung steht die Videoprojektion von Jordi Colomer ('Anarchitekton Brazil', 2002-2004), die eine De-Fossilisation dieser paradigmatischen brasilianischen Architektur vornimmt. In dieser verfilmten Performance trägt ein Mann Architektur Modelle auf seinen Schultern und durchquert die modernistische Stadt Brasilia im Rennen. Modelle von Oskar Niemeyer`s Gebäude wechseln sich dann ab mit Karton Architekturminiaturen von Wohnblocks in den postindustriellen urbanen Peripherien Brasiliens, entlang derer er läuft. Diese paradigmatischen Gebäude des 20. Jahrhunderts und die späteren Verformungen der modernistischen Modelle werden somit in Bewegung gebracht.

 

Die brasilianische Moderne hatte entscheidende Nachwirkungen in den letzten Dekaden der kolonialen Herrschaft in afrikanischen Ländern. Modernismus in Afrika zeigte sich sowohl in einer Architektur der Herrschaft (über eingeprägte europäische Modelle) als auch in den Versuchen veraltete Wohnformen, die auf ein kolonial auferlegtes Wohnen basierten, zu bekämpfen. Um sich von diesen Modellen zu emanzipieren, versuchten zahlreiche Architekten (sowohl lokale als auch europäische) an brasilianische modernistische Ansätze anzuknüpfen. Diese architektonische Formen von Modernismus waren offener für die lokalen sozialen und klimaterischen Bedingungen als die europäischen Formen von Modernismus, die durch das koloniale Regime in Afrika implementiert wurden und die oft die Ansprüche der lokalen Bevölkerung ignorierten. Lusophone afrikanische Länder bekämpften mit dem brasilianischen Modernismus die faschistischen architektonischen Modelle von Antonio de Salazar, die von Portugal aufoktroyiert wurden. In den 1950er und 60er Jahren setzten die lokalen Architekten (zum Beispiel in Mosambik und Angola) importierte modernistischen Gebäudelösungen aus Brasilien (aus vorangegangen Dekaden) ein, die nicht-hierarchisch und nicht-exklusiv benutzt werden konnten. Dies führte zur Ausbildung der sogenannten „Spätmoderne“ in Afrika – eine emanzipatorischen Bewegung.

 

Eine Kollektion von Doku-Videos untersucht einige spätkoloniale Gebäude aus vier afrikanischen Ländern, die Größenwahn und Dysfunktionalität ausdrücken und in ihrem aktuellen Zustand zu kulturellen Hybriden wurden. Diese spätkolonialen Projekte werden mit ihren eigenen gegenwärtigen Konsequenzen – sowohl auf sozialen wie auch auf individueler Ebene – konfrontiert. Jeder Film behandelt ein Fallbeispiel aus Tansania (A Survey of Modern Architecture in Tanzania von Jord den Hollander, 2007), Mosambik (Grande Hotel Beira Mosambique von Lotte Stoops, 2010), Kap Verde (The Architect and the Old City Santiago von Catarina Alves Costa, 2004) und Südafrika (Africa Shafted, Ponte Bulding von Ingrid Martens, 2011). Diese Beispiele zeigen dass angesichts dysfunktioneller und destruktiven Wohnsituationen, die Handlungsmacht independenter Initiativen der Bewohner regnerativ wirken kann und kreative Lösungen von innen heraus gefunden werden können. Die Fälle machen deutlich, wie Architektur (verstanden als räumliche Praxis) sich permanent durch gemeinschaftliche Initiativen gegen eine Architektur der Dominierung wenden kann und erneuern kann. Die Dokumentationen über das Grande Hotel Beira in Mosambik, das Ponte Building in Johannesburg, die Wohnkolonie von Santiago in Kap Verde sowie die modernistische Architektur der ersten Generation in Tansania gehören zum Lissabonner Filmarchiv AfrikPlay (afrikplay.wordpress.com).

 

Die Arbeiten von Pedro Valdez Cardoso und Edouard Baribeaud gehen in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Brasilien zurück. Damals bewirkten Reisepraktiken eine (temporäre) Okkupation und standen mit kolonialer Macht- und wissenschaftlicher Exploration in Verbindung.

Pedro Valdez Cardoso verfolgt die Spuren kolonialer Lagerstrukturen, die von den europäischen Armeen in Zentralafrika benutzt wurden. Diese provisorischen, architektonischen Kennzeichen territorialer Autorität kombinieren den europäischen Militärapparat mit lokalen, afrikanischen Bautechniken. Die Installation von Pedro Valdez Cardoso nimmt diese hybriden Formen wieder auf, die überlagernden Alphabete von Macht reflektieren. Diese Besetzungsstrukturen, die von den europäischen Soldaten provisorisch gebaut wurden, erinnern an traumatische Lebensbedingungen und an verfallene Beziehungen die durch die kolonialen Kampfsituationen entstanden. Eine üppige Sammlung von Archivmaterial wird von Pedro Valdez Cardoso in einer Serie von Künstlerbücher verarbeitet, die verschiedene Aspekte des kannibalischen Mythos zeigen: alte Aufnahmen aus Afrika und Südamerika, gesammelte Objekte, Reliquen und Zeichnungen von furchterregenden Motiven, die von der Unmöglichkeit der Assimilierung der in Afrika gefundenen Realität berichten.

 

Edouard Baribeauds Arbeiten verknüpfen Motive aus den frühen Zeichnungen und Photographien der Forschungsreisenden in Brasilien. Fiktion und Stereotypen in diesen Darstellungen (die dann in der Arbeit Baribeaud noch einmal aufgenommen und abstrahiert werden) spielen nach, wie durch Repräsentation politische Handlungsmacht ausgübt wird und dadurch die vorgefundene Realität anthropophagisch und paternalistisch konsumiert wird. Diese Arbeiten zeigen auch, wie die frühen kolonialen Dokumentarzeichnungen mit ihren projektiv-fiktionalen und realitätsverfälschenden Blick auf das vorgefundene Subjekt, von technischen Determinierungen abhängig waren. Zum Beispiel erzeugten die Blickwinkel und Perspektive der frühen Kameramodellen und Phototechniken eine verzerrte Realität. Genauso wirkten die Skizzen die vor Ort wärend den naturwissenschaftlichen Expeditionen hastig gezeichnet wurden, reduzierend: die von zu Hause erlernten Zeichentechniken waren mit bestimmten gelernten Motiven (oder Typisierungsformen) verbunden.

Diese polare Realität wiederaufnehmend, baut Baribeaud seine Arbeiten auf ein dualistisches Prinzip auf – sowohl auf formaler Ebene, als auch in Bezug auf seine Motive: Konfrontation versus Frieden, sensorische versus rationale Impulse, Utopia und das Imaginäre versus Dokumentation. Dennoch distanzieren sich seine Zeichnungen von diesen umstrittenen, binären Prinzipien (zum Beispiel geographische Aufteilung und mutmaßliche kulturelle Polen). Er bricht und abstrahiert dieses historische, europäische Imaginäre und somit seine politische Aufladung durch die Einführung leerer, abstrakter Zonen in der Bildfläche, die er “Projektionsflächen” nennt.

 

Das portugiesische Duo Pedro Paiva und Joao Maria Gusmao arbeiten ausschliesslich auf 16mm Filme ebenfalls mit den Grenzen der Beobachtung und der grundsätzlich verzerrten Assimilierung von Wirklichkeit während des portugiesischen Kolonialismus. Die Notwendigkeit einer halluzinatorischen Dimension wird als ein möglicher Katalysator für Wandel verstanden, der das Individuum wieder mit einer zeitlosen, kosmischer (und für Europäer nicht begreifbaren) Sequenz verbindet. Die beiden Filme 'Columbus Column' und 'How to Swerve the Earth Axis' mit ihrer irreführenden und magischen Suche nach dem Mittelpunkt der Welt, erinnern auch an ikonischen Bilder des brasilianischen Modernismus. Dekolonisierende Ideologie und utopische Architektur rufen dabei eine regenerierende Zeitqualität hervor.

 

e.Studio Luanda (www.e-studioluanda.com: Francisco Vidal und Rita GT) präsentiert u.topia Luanda Machine, eine Art Reisezubehör-Kästen, die Gegenstände materieller Kultur enthalten, die in den verschiedenen Stationen gesammelt wurden, an denen die Maschine “gearbeitet” hat. Daraus macht Francisco Vidal eine Live Papier- und Malperformance. Auf u.topia boxes hält eine Projektion von Dias die Performance von Rita GT in Luanda fest. Diese blinden Flecken oder zensierten Momente wurden von ihr dargestellt an paradigmatischen Orten in Luanda, an denen die jüngste Geschichte der Stadt sichtbar ist: modernistische architektonische Details aus der Kolonialzeit in ihrem aktuellen Verfallszustand oder Wandel. e.Studio Luanda haben in den letzten Jahren in Luanda, Angola gearbeitet – eine Stadt, die selbst ein neues hybrides, funktionales Modell ist, das jegliche postkoloniale Polarisierung destabilisiert. Während Portugiesen, Chinesen, Osteuropäer und Angolaner eine Arbeitsstelle im überbevölkerten Luanda suchen, einer der teuersten Städte der Welt, bilden formelle und informelle ökonomische Praktiken neue urbane Konfigurationen und Behausungsarchitektur.

 

Matias Machado rekonstruiert in Lebensgröße ein Wohnviertel in Cordoba, Argentinien, und hält dabei die Veränderungen fest, die es in den vergangenen Jahren wegen privater und korrupter Interessen multinationaler Unternehmen durchgemacht hat. Monsanto hat einen Ausbau erzwungen und die Bevölkerung zu schändlichen Bedingungen angestellt, was zu einer großen Zahl an Opfern führte. Deren Häuser wurden von Matias Machado im Modell nachgebaut und in zwei Interviews mit lokalen Aktivistinnen werden die Folgen solcher geopolitischen Interessen diskutiert. Ein sich stetig wandelnder Stadtplan (durch die Erweiterung von Monsanto), den die Bevölkerung gezwungen ist zu akzeptieren, reflektiert einen fortdauernden Prozess von Marginalisierung, Auflösung, Neokolonisierung und Verlust.

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Die Ausstellung umfasst auch ein Fokus auf jüngere paradigmatische Phänomene die entlang der ehemaligen Ost-West-Achse zu finden sind. Explizit wird in diesem Zusammenhang die unzureichende politische Assimilierung von Folgeerscheinungen untersucht, die der Eiserne Vorhang in Osteuropa und den Balkanländern hinterlassen hat. In der Ausstellung werden Beiträge von lokalen Experten eingeschlossen: Wissenschaftler, Professoren und Architekten. Ihre Forschungen in Text und Bild untersuchen konkrete Fallstudien, die zeigen, inwieweit poltische und kulturelle kannibalistische Akte und ihre Auswirkung auf Architektur einem ökonomischen Diktat folgen. Sie analysieren, inwieweit die Unverhältnismäßigkeiten und die Verlogenheit des politischen Diskurses nach dem Fall des Kommunismus wieder jene Mutationen verstärkten, die die kommunistischen Diktaturen hinterlassen hatten. Diese wurden nochmals abgestimmt auf die makroökonomischen toxischen Strukturen, die die globale Welt bestimmt. Ungeachtet dessen können diese Mutationen, auf Mikroebene und durch kreative Reaktionen, auch regenerative Kräfte tragen, welche Denkmuster ändern und sich neuen historischen Paradigmen verschreiben.

 

Die Ausstellung vertritt die These, dass politische, ideologische und ökonomische Umbrüche immer auch symptomatische Spuren in der architektonischen/urbanistischen Gestaltung hinterlassen und dass durch die Erörtung dieser Spuren Geschichte erhelt werden kann. Der Fokus richtet sich auf hybride Beispiele osteuropäischer Architektur in Rumänien, Moldavien, Kroatien und Serbien.

Was verraten uns einstürzende Architekturen und ruinierte Landschaften über die stadtentwicklungspolitischen Pathologien im Postkommunismus? Wie soll man die Desintegration der historischen Architektur im Kontext der osteuropäischen neoliberaler Marktwirtschaft denken? Was sind unsere Aussichten im Kampf gegen die aggressive Raumaneignung durch politische Korruption?

 

Die Arbeit von Vladimir US spricht über die Kommerzialisierung von öffentlichen Raum. Sein Fallstudium ist Bulevardul Cantemir, eine Hauptstrasse, die in Chisinau, Republik Moldau in den 1970 Jahren, als ein ideologisches kommunistisches Projekt, gedacht wurde. Projiziert um die Fortschritte des Kommunismus zu veranschaulichen, das Boulevard sollte einen großen Teil der Altstadt abreißen. Aus ökonomischen Gründen wurde letztendlich nur ein Segment davon gebaut. Heute wird der fehlende Teil mit improvisierte Shopping Malls ersetzt und in einem kommerziellem Areal für Investitoren umgewandelt. Ähnliche Situationen gibt es in Bukarest mit der Piata Buzesti Gegend, wo ein alter Stadtviertel und Markt neulig in einer kommerziellen Zone für Großinvestitoren umgewandelt wurde, wobei die Bewohner ausgeräumt wurden und ein alter Stadtviertel komplett umstellt worden ist.

Zusammen mit 8 architekonischen Teams der Lawrence Technological University, verfassten die Herausgeber und Architekten Srdjan Jovanovic Weiss und Philip Plowright das Buch Inhabiting Everyday Monuments, (Lulu, 2014). Das Buch greift in einer Reihe von studentischen Beiträge, in experimenteller, graphischer und diagrammatischer Form die Frage auf: was für eine Form von Leben und Wohnen kann man sich in der post-apokalyptischen Landschaft zwischen Detroit, Flint und Michigan vorstellen? Dieselbe, existentielle Frage wird anderseits auch hinsichtlich der devastierten, sozialistischen Monumente in ex-Jugoslawien verortet, wodurch eine komplexe Mischung aus unterschiedlichen zeitlichen, ideologischen, ästhetischen und semiotischen Architekturformen entsteht.

In der Installation von Andrej Mircev, die aus 6 kleinen Lichtkasten zusammengestzt wird, kombiniert der Künstler und Kurator Dia-photos und dokumentarische Spuren, welche die zusammengebrochen Industrielandschaft Kroatiens zur schau stellen. Mircev hat mit seiner Studentengruppe eine aus kommunistische Zeit stammende und ruinierte Fabrik in Rijeka besucht. Da fand er originales Archivmaterial der Fabrik und fasste in collageartiger Weise diese Dokumente in Dias zusammen. Das Phantomleben einer erschöpften Arbeit(erschaft) mit ihren überflüssigen und verwüsteten Archiven wird zu einem symptomatisch gebrochenen Bild, der den Prozess der Montage diverser Epochen sichtbar lässt.

In den Arbeiten von Failed Architecture setzen sich Maja Popovic und Mark Minkjan mit Phänomenen fehlgeschlagener Architektur aus. Im Kontext dieser Ausstellung ist ihr Fokus auf das Projekt Belgrade Waterfront ausgerichtet – ein megalomanisches, noch nicht realisiertes Bauprojekt, welches als Beispiel neoliberaler Stadtplannung fungiert, das in erster Linie durch Korruption, Raumaneignung und wiederrechtliche Immobilien-Spekulation gekennzeichnet ist. Das Forschungsprojekt von Failed Architecture zeigt dass urbane Entwicklung oft bloß als eine profitstiftende Maschine benutzt wird, besonders durch die legalen Nichen die im postkommunistischen Europa entstanden sind. Failed Architectures Argumentation plädiert für eine den Einbewohnern gegenüber verantwortliche und dem Genuis Loci vertraute Praxis.

Das rumänische Architektenduo Muresanu zeigt historische Bauten, die von Neuarchitekturen kannibalisiert wurden. Infolge gezwungener Abrisse im kommunistischen Bukarest steht die historische Architektur häufig allein auf leerem Gelände – mitten im Stadtzentrum. Die schlechte urbane Administration im Postkommunismus überbaute diese für korrupte ökonomische Zwecke. Oft sind diese 'modern' aussehender Architekturformen mit präkeren Materialien gebaut und wenig funktionell, wobei sie die korrekte Konservierung des urbanen Erbgutes hindern.

Christopher Roth inszeniert ein mit kannibalistischen Motiven gewürztes poetisches Essen bei der Anti-Villa – ein Haus in Krampnitz, gebaut vom deutschen Architekten Arno Brandluber. Der Film spielt auch Teile des Filmes Themroc von Claude Faraldo im zeitgenössischen Geschähen ein. Themroc, 1973, der der Ausgangspunkt des gesamten DEVOUR! Ausstellungsprojektes darstellte, entstand aus der Ideologie der sozialen, links orientierten Bewegungen im Frankreich der 1960' Jahre heraus. Die Hauptfigur, die in einer spät-bürgerlichen Lebens- und Wohnsituation gefangen ist, gibt eines Tages auf sich sprachlich zu artikulieren, zerstört die Wände seiner Wohnung zu einer Höhle und initiiert eine anarchischen Orgie, die mit der Verspeisung eines Polizisten kulminert. Die Anti-Villa von Arno Brandluber trägt das ganze symbolische Kapital der zerstörten Architektur von Themroc in einer abstraktisierten Form mit und wird im Video von Christopher Roth mit einer aktuellen melancholischen Distanz wieder aufgenommen.

Die Arbeit von Vanessa Ramos Velasquez ist ein Ergebnis von ihren langjährigen Recherchen zu was sie 'digitale Anthropophagie' benennt. Die in Brasilien geborene Künstlerin verfolgt eine paradigmatische mobile brasilianische Architektur: die Hängematte, die ähnlich wie die Lagerstruktur von Pedro Valdez Cardoso, einheimische Lebensweisen (vor der kolonialen Welt) transportiert. Ihre Arbeit sammelt frühe Drucke und Zeichnungen mit Repräsentationen von Hängematten und die ambivalenten Bedeutungen mit denen diese in den Exotik-hungrigen Augen der Europäer assoziert wird. Ramos Velasquez baut eine digitale Hängematte-Struktur auf: drei Kameras auf dem Tripod befestigt, nehmen die Annäherung der Umgebung auf und metabolisieren die Subjekten in ein transformiertes Livebild.

Patrick Jambon bringt, sowie Jordi Colomer auch, eine performative Dimension zu Architektur, die zwischen virtuell und konkret, digitale Projektion, Modell und Spielgegenstand auf seinem eigenen Körper befestigt, schwankt. Seine Performance fand kontinuierlich während der Eröffnung statt.

Ein performatives kulinarisches Event, 'The Consumed Dinner', wurde für die Eröffnungsnacht von Caroline Hobkinson konzipiert. Das Essen wurde auf offener Flamme im Freien vorbereitet und zelebrierte somit auch die Walpurgisnacht, da die Eröffnung auf die Nacht zum 1. Mai fiel. Die Überbleibsel dieser Esssituation, bei der alle Ausstellungsteilnehmer und das Publikum beteiligt waren, wurden zu einer ephämeren, transformativen Installation im Ausstellungsraum installiert. Essrituale und erfundene Essobjekten und -praktiken reproduzieren eine digestive Struktur, die aber in einem Prozess von kontinuierlicher Transformation im Ausstellungsraum bleibt: aus den Sprossen wächst eine neue Landschaft, die sich wahrend der 1-monatigen Ausstellungszeit entfaltet. Die speziell für das Essen gefertigten Utensilien werden zum Memento Mori in der lebendigen Vanitas-Szene.

 

Text: Marta Jecu

Vielen Dank an Anna Jäger für die Übersetzung von Teilen dieses Textes und an Andrej Mircev für die konsistente Kollaboration bei Text- und Ausstellungskonzeption.

 

 

 

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DEVOUR! III ist Teil eines Projektes welches noch folgende Events beinhaltet hat: DEVOUR TEIL I: Freies Museum (www.freies-museum.com/) in Partnerschaft mit Savvy Contemporary  (www.savvy-contemporary.com): 21 März – 15 AprilDEVOUR Teil II AT ZK/U Berlin, Ausstellung/Screenings/Symposium/Performace, 25 März 2015 ab 6:30h. 26 bis zum 27 März Besichtigungen: 25-27 März

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Dieses Projekt wurde unterstützt von: Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Niederlandische Botschaft, Bristish Council, Accion Cultural Española, Fundação Calouste Gulbenkian,Rumänisches Kulturinstitut Berlin, Cicant, Serendipity Films, Mission Statement, Z/KU Berlin, Savvy Contemporary, Lichtblick Kino und KKW Leipzig

1 Ein Scan der kompletten Ausgabe (einschiesslich dem Manifesto) online aufrufbar unter:

http://pt.slideshare.net/redactorSEO/andrade-oswaldde-revistadeantropofagia

2If I Can't Dance and Inti Guerrero in Conversation, Flávio de Carvalho – Inti Guerrero, http://www.ificantdance.org/Editions/EditionIV/FdeCarvalho/03-Texts?popups=/Editions/EditionIV/IntiGuerreroinConversation

 

3Flávio de Carvalho by Inti Guerrero in Afterall Magazine, Nr. 24, Summer 2010

Filmprogramm DEVOUR! Architektur zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion

im Rahmen der Ausstellung: DEVOUR! Sozialer Kannibalismus, politische Neudefinierung und Architektur

Kuratorin: Patricia Morosan

Filmeinführung und Moderation: Frances Margarete Hill

BERLIN, LURU KINO/CINEMA, 22nd-25th May 2015

Spurnahme ( Juliane Henrich, 2008, 14 Min)

Ausdauer ” ( Daniel, Eisenberg 1997, 86 Min.) ( format: 16 mm)

Drowning 1 – Berlin City Tours “ ( Steffen Ramlow, 2010 , 6 Min) ( mov file)

Grunske ” ( Sabine Schobbel, 2009, 5 Min.)

"B-CLIP " ( Marut Jimin/ A-Clip Kollektiv , 1998, 8 Min.)

Module 001 und “ Module 002”( Meggie Schneider, 2010, 22 / 23 Min.) ( blu ray)

  Der Platz” ( Uli M Schueppel, 1997, 52 Min.)                                                                                                                   Die leere Mitte ” ( Hito Steyerl, 1998, 62 Min.) ( mov file ProRes)

 Kunstlerskollektiv AKKRAAK: Videoauswahl aus der Serie Tiefmagazine ( 1990 - 2005)

LEIPZIG, KINO/CINEMA LURU, 2nd-3rd May, 2015

“ Den Weg, der wir nicht zusammen gehen” ( Dominik Graf & Martin Gressmann, 10 Min)

“ Im Platz ” - Uli M Schueppel ( 9 Min)

“ Drowning 1- Berlin City Tours” (Steffen Ramlow,2010,6 Min)

“ Schleifen” ( Juliane Henrich, 2013, 6 Min.) in Anwesenheit der Regisseurin

„Module 001: F 05.11“ ( Meggie Schneider, 2010, 22 Min.)

„I'd rather be at Newington“ ( Wiebke Grosch und Frank Metzger,2000, 11 Min.)

“Silberhöhe” ( Clemens von Wedemeyer, 2003, 10 Min.)

„Die Siedlung“ ( Clemens von Wedemeyer, 2004, 20 Min.

“.spurnahme” ( Juliane Henrich, 2008, 14 Min)

“ Der Platz” ( Uli M Schueppel, 1997, 52 Min.)

“ Dekonstruktion ” - Uli M Schueppel ( 1:39 Min)

“ Das Gelande ” ( Martin Gressmann, 2013, 93 Min.)