Im Rahmen des Projektes werden im öffentlichen Raum in Berlin-Kreuzberg neue Denkmäler geschaffen, die sich mit zeitgenössischen Mitteln mit der jüngeren Geschichte Berlins befassen. Zehn internationale KünstlerInnen intervenieren an historisch belegten Orten. Es entstehen vergängliche Architekturen in Form von Spaziergängen, eines mobilen städtischen Archivs, einer umgekehrten Konstruktion unter der Erde, eines selbstgemachtes Hauses u.a.
Diese auch virtuellen, aber wirkungskräftigen Aktionen greifen in die historischen Denkmäler Berlins ein. Sie verbinden die existierenden Denkmäler (inklusive des Kunstraums Kreuzberg/Bethanien selbst) mit neuen zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen.
Die Stadt wird mit Hilfe von archäologischen und rückläufigen Prozessen untersucht und damit als ein Organismus, der sich selbst verzehrt, betrachtet. Die neuen Konstruktionen haben im Gegensatz zu den offiziellen Denkmälern keine festgelegte symbolische oder ideologische Bedeutung. Sie werden nicht als Festlegung und Konservierung von Symbolen verstanden, sondern als Überbleibsel der Geschichte und städtebaulicher Projekte betrachtet. Sie haben eine temporäre Funktion, die durch die Passanten neu und individuell interpretiert werden kann. Sie können von den Stadtbewohnern benutzt, transformiert oder zerstört werden.
Die Künstler dokumentieren in verschiedenen Medien (Photographien, Videos, architektonische Modelle, Installationen) die Transformationen ihrer Installationen: die Aneignung durch die Stadtbewohner, die Prozesse der Dekonstruktion, sowie die Interaktion mit den Passanten. Diese Ergebnisse werden zusammen mit komplementären Werken – virtuellen und weiteren realisierten Projekten – im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen sein.
1. Delio Jasse: Dark Room 1+2
Das offene urbane Archiv, das Delio Jasse an der Waldemarstraße baut, ist verbunden mit den vielen Flohmärkten und Basaren in Angola und Europa, die Delio Jasse regelmäßig aufsucht, um nach alten Fotos zu suchen. In seiner Arbeit werden diese Bilder und der kulturelle Hintergrund, mit dem sie aufgeladen sind, zurück auf die Straße gebracht. Das interaktive Archiv markiert den intensiven Informationswechsel zwischen dem, was auf die Straße gestellt wird und dem, was die Straße selbst auswirft, den Müll, der die feine Grenze markiert zwischen Vandalismus und dem, was die Stadt funktionell mit frischen Information ernährt.
Das offene Gestell mit Bildern von industriellen Gebäuden, welche sich auf die dahinter befindliche Berliner Stadtlandschaft überlagern, verbindet Bilder aus Luanda von teilweise nicht beendeten Überbleibseln der kolonialen Zeit, verfallene Symbole des portugiesischen Erbes, und Ansichten von der neuen Architektur Angolas, urban und im Wachstum befindlich.
Die Arbeit Delio Jasses zeigt auch, wie sich die Wahrnehmung von Diaprojektion fundamental geändert hat, von der Familienunterhaltung zu einem Medium, welches eine Überkreuzung von Information möglich macht. Der „Dark Room“ in der Galerie verfolgt diese Überkreuzungen in der avancierenden Sättigung von Bildern im Stadtbild Luandas.
2. Sancho Silva + Christian Troberg
Das Mauerteil von Sancho Silva flüchtet und streift durch die Stadt und erfährt dabei im wahrsten Sinne des Wortes die unterschiedlichsten Reaktionen. Wohin fährt es? Was ist seine Absicht? Was wird mit ihm passieren?
3. Matias Machado: Fritz Teufel
In der Groeninger Straße 50 war Fritz Teufel ein häufiger Gast von Matias Machado, der die Präsenz aller Besucher, die sich in diesem Raum aufgehalten haben, dokumentierte. Die Arbeit im Kunstraum und der Raum im Außenbereich, der im 1:1 Maßstab die Wohnung von Fritz Teufel in der Wriezener Straße 16 reproduziert, sollten verstanden werden als ein Denkmal an der berlinischen politischen Figur. Die Arbeit überlappt mathematische Koordinaten des Raumes auf der Groeninger Straße, wo Matias mit Fritz Teufel häufig Ping Pong gespielt hat, mit den Maßen der Wohnung von Fritz Teufel im Wedding, Wriezener Straße 16. Auch die beiden Säle im Kunstraum werden Teil dieser Überlagerung, die eine politische Geschichte erzählt, welche sich zu anderen individuellen Aussagen und Räumen hin öffnet. Durch Zeichnung wird diese Struktur aufgebaut und bringt die Möglichkeit der Einbringung von anderen Situationen in diese politische Konjunktion. Die Absicht des Künstlers ist es, nach dem Ausstellungsende den Raum für ein permanentes Archiv (Dokumente, Bibliothek) von Fritz Teufel zu stiften.
4. Nuno Sousa Vieira: Left to Chance
Nuno Sousa Vieira arbeitet mit einem Komplex von Informationen, die Verbindungen zwischen seinen vergangenen und aktuellen Werken, zwischen diesen und anderen Arbeitsräumen herstellen. Diese Arbeit dreht sich um eine Reihe von Originalzeichnungen in Graphit auf Papier, die er auf den Straßen von Sao Paulo, London, Paris und Lissabon und nun in Berlin „ausstellt“ und die von Unbekannten gesammelt und danach von Nuno Sousa Vieira signiert werden können. Zu sehen ist auch die Arbeit „von Valerie“, die sie Nuno zum Tausch für seine Arbeit anbot. Die Graphitzeichnung zeigt die Veränderungen, die ein Quadrat in einer Stunde bei 15 Grad erfährt, wobei es die Drehung der Erde durchmacht.
5. Luca Pozzi: Oracle
Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Schwerbelastungskörper in Berlin in der Nähe der Kolonnenbrücke: der Betonzylinder wurde 1941 von der Dyckerhoff & Widmann AG auf Befehl Albert Speers gebaut. Er sollte die Tragfähigkeit des Bodens messen an der Stelle, an der ein gigantischer Triumphbogen des Nationalsozialismus gebaut werden sollte. Da der Körper von Gebäuden umringt ist, konnte er nicht gesprengt werden und wurde 1995 zu einem Denkmal erklärt. Luca Pozzis Arbeit ist ein Versuch in Quantenphysik. Luca baut ein Tor, durch das Information zwischen dem Schwerbelastungskörper, dem Ausstellungsraum und seinem Atelier in Milan in Echtzeit übertragen wird, wobei der malerische Prozess auf der Phosphorplatte (seine Performance „Drawing Session on Mother Platform Device“) während der Eröffnung Information durch verschiedene Zeiten und Räume gleichzeitig gehen lässt.
6. Cristian Rusu: Project for a Modernist Pavillion
Modernismus und die architektonische Form, die in Oszillation gebracht werden kann, sind zwei konstante Beschäftigungen von Cristian Rusu. Dieses Projekt besteht aus einem Pavillon, ein urbanes provisorisches Designobjekt, welches an verschiedenen Orten in Berlin platziert werden kann. Die offenen räumlichen Strukturen, die unterschiedliche Formen annehmen können, sind Miniatur-Labyrinthe, kleine urbane Stationen, die zugleich meditativ und funktionell in der umgebenden Landschaft agieren. Die Bezüge, die der Passant herstellen kann, können sowohl historisch als auch kontemplativ sein, sie öffnen das schwer beladene Symbol der Mauer und abstrahieren ihre Aussage. Die Form des Mauermodules, modernistisch in seiner Ästhetik, wird zugleich als eine Popfigur behandelt.
7. Hironari Kubota: Berlin Hitoritabi und Itokoku Inasaku Kazoeuta
Aus der Verbindung zwischen kultischen shintoistischen Ritualelementen und industriellen und postindustriellen urbanen Formen, schafft Hironari Kubota einen Raum, in dem latente Kräfte eine eigene Wirkungskraft entfalten. Dieses symbolische Kapital, das in der Alltagswelt zum Vorschein kommt, regeneriert die existierende Situation. Analoge, mechanische Prozesse und eine minimale Technik erheben die Frage der fundamentalen Möglichkeiten der “Formgebung”. Hironari Kubota baut während vieler Monate alleine seine Werke, die sich in Performances von knapp 30 Minuten konkretisieren. Seine intensive Arbeit stützt sich nicht auf konventionelle Stileinordnung und drückt eine zugleich futuristische und archäologische Vision über Materialität, Bewegung und räumliche Definition aus.
8. Sinta Werner: Mise-en-cadre – Die szenische Auflösung
In meiner fotografischen Arbeit „Mise en cadre – Die szenische Auflösung“ wird das Zentrum Kreuzberg in einer ungewöhnlichen Form inszeniert. Die Darstellung erinnert an eine Ruine, an ein Baudenkmal, einen Vorgriff in die Zukunft, aus welcher man auf die Ruine zurückblickt. Gleichzeitig hat ein Modell immer etwas von einem Entwurf, in diesem Fall einem unfertigen bzw. ausschnitthaften Entwurf.
Ausgangspunkt meiner Arbeit war das Interesse an einer inszenierten Wirklichkeit, in der die Grenzen zwischen Realraum und Kulisse verschwimmen. Als Methode benutze ich ein Verfahren aus der Filmtechnik, bei dem Teile der Kulissen in Modellgröße gebaut werden, um Aufwand zu sparen. Diese werden dann so im Bildausschnitt arrangiert, dass sie die vorhandene Kulisse auf plausible Weise ergänzen. In meiner Fotoarbeit passt sich das Modell den Größenverhältnissen der originalen Architektur an, spielt sich jedoch in den Vordergrund und verweigert eine Symbiose mit dem Umraum. Es bestehen Schnitte im Modell, die klare Brüche in der Perspektive hervorrufen und auf den ersten Blick an eine Collage denken lassen. Auf den zweiten Blick werden Details des Modells erkennbar; das Making-of wird zum eigenen Thema.
9. Carlos Bunga: Materia
Carlos Bungas Film „Materia“ zeigt eine makrogefilmte Wand einer seiner Installationen, die schon nicht mehr existiert. Bunga baut riesige Konstruktionen mit monochromatischer Malerei aus Karton, die über, zwischen und unter anderen existierenden Architekturen temporär funktionieren kann. Er benutzt fragile Materialien, die das Überdauerungsprinzip und die Autorität der Konstruktion darunter in Schwankung bringen. Bunga baut und zerstört oft seine minimalen Konstruktionen. Die eigene Dokumentation dessen wird zu einer technischen Mutation der architektonischen Orginalformen, die ihre politische Funktion alterieren.
Bunga arbeitet mit verschiedenen zeitlichen und räumlichen Phasen eines Gebäudes, welche sich überlappen. Er konstruiert, was man prospektive Ruinen nennen könnte.
Zur Eröffnung zeigt Bunga auf der Fassade des Kunstraums eine seiner ersten Arbeiten. Im aktuellen Kontext ruft diese Arbeit die verschiedenen Identitäten des Gebäudes des Kunstraumes selbst hervor, verbunden mit der Geschichte Kreuzbergs, die vor und nach dem Mauerfall von Besetzung, Reappropriation und Sedimentierung von politischem Diskurs konstant erneuert wurde.
10. David Maranha: Pergelissolo
David Maranha arbeitet als Architekt und Musiker mit Bildern und den Assoziationen, die sie hervorrufen. Es sind alte Erinnerungen, die jeder Betrachter unterschiedlich in sich trägt und die aktiv die eigene Realität formen. Durch seine Arbeiten studiert er den mentalen Prozess, durch den Bilder geformt werden. Bereiche von fokussierter Projektion, trüben Reflexionen, Schatten, Schwankungen zwischen Distanzierung und Näherung an die Bildquelle bilden ein offenes mentales Bild, welches er evoziert. Anspielungen an überdimensionierte Strukturen und ihre eiszeitliche Umgebungen erinnern an geologische Prozesse von Konservierung vergangener Formationen.
11. Yukihiro Taguchi + Chiara Ciccarello: Dis-Cuvry
Das von den beiden Künstlern selbst gebaute Haus auf dem Gelände an der Cuvrystraße ist eine Konstruktion, die die unmittelbare Funktion der Behausung erfüllt, eine Installation, die durch die Arbeit in der Ausstellung erweitert wird und zugleich ein futuristisches Projekt, das sich abhängig von verschiedenen Faktoren weiter und unvorhersehbar entfalten kann. Der Plan ist, das Haus mit mehreren gemeinschaftlichen Konstruktionen zu erweitern. In den letzten 2 Monaten, in denen die Arbeit entstanden ist und in denen der Künstler Yukihiro Taguchi während des Bauprozesses gewohnt hat, entstand ein wandelbares architektonisches Projekt. Dazu beigetragen haben verschiedene Faktoren, z. Bsp. Aktionen der anderen Benutzer des Geländes, physikalische Konditionen (Temperatur), soziale und gemeinschaftliche Strukturen, die auf diesem Gelände und zwischen ihren Besetzern bereits bestanden. Die Materialien für das Haus wurden alle umsonst auf der Straßen von Berlin gesammelt. Sie tragen ihre eigene, mitgebrachte Geschichte in sich und werden durch diese Arbeit transformiert und auf der Cuvrybrache einer neuen, temporären Bestimmung zugeführt.
Locations der Arbeiten im öffentlichen Raum:
Delio Jasse: Waldemarstraße Ecke Adalbertstraße
Nuno Sousa Vieira: Die Standorte werden vom Künstler nicht preisgegeben und sollen gesucht werden
Yukihiro Taguchi: Gelände an der Cuvrystraße
David Maranha: Gelände Yaam Bar
Sinta Werner: Cafe Kotti, Kottbusser Tor
Matias machado: Amphitheater vor dem Kunstquartier Bethanien Gebäude
Begleitprogramm:
Samstag, den 4. Mai 2013, 17 Uhr: Führung der beteiligten Künstler zu den Installationen im öffentlichen Raum, Treffpunkt: Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Dienstag, den 7 Mai 2013, 16 Uhr, Führung durch die Galerie Eigen+Art durch den Architekten Jürgen Mayer, der seine Werke am Schnittpunkt zwischen Architektur und Kunst bespricht.
Mittwoch, den 8. Mai 2013, 14 Uhr: Einstündige Führung durch die Architekturarchive der Berlinischen Galerie durch Frau Ursula Müller, Leiterin der Archive. Eintritt 5 Euro, Treffpunkt: Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, 10969 Berlin
Mittwoch, den 22. Mai 2013, 17 Uhr: Gespräch mit Herrn Ulrich Müller, Direktor der Architektur Galerie Berlin zum Thema: Schnittpunkt zwischen Architektur und Kunst in der kuratorischen Praxis anhand von vergangenen Ausstellungen der Galerie, Treffpunkt: Architektur Galerie Berlin, Karl-Marx-Allee 96, 10243 Berlin.
Onlineplattform: der Blog THINKABOUTSPACE, Design von Alessandro Geri Rustighi:
Im Vorfeld der Ausstellung wurden Skizzen, Ideen, Modelle, Texte, Photos und Klänge zusammengetragen, die sich mit der Vorstellung von einem zeitgenössischen Denkmal auseinandersetzen. Link: http://www.thinkaboutspace.net/
Ein Ausstellungsprojekt des Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, kuratiert von Marta Jecu, gefördert durch: Italienisches Kulturinstitut Berlin, Architektur Galerie Berlin, Japan Foundation, BERLINARTLINK, Camões – Instituto da Cooperação e da Lingua/Portugal, CICANT – Centre for Research in Applied Communications, Culture and New Technologies, Calouste Gulbenkian Foundation Portugal.